Der neue Roman von Mareike Fallwickl „Und alle so still“ spielt wirklich alle Stücke. Wie selten ein literarisches Werk verstrickt sich der Feminismus mit dem Klassenkampf und verdeutlicht wie, dass das Patriarchat im Grunde nur sehr viele Verlierer produziert – Männer genauso wie Frauen.
Der Feminismus und das linke Gedankengut
Der Feminismus war von Anfang an tief in die sozialistischen Theorien verwurzelt. Klar, ist er diesen auch entsprungen. Friedrich Engels war schließlich der Erste, der für Frauen, wie auch für Männer, das Recht auf Arbeit geltend machen wollte. Simone de Beauvoir, eine linke Parade-Intellektuelle, gilt als erste populäre Feministin überhaupt und ihr Hauptwerk, Das andere Geschlecht ist Pflichtlektüre aller feministischer Studienlehrgänge.
Im Verlauf seiner Popularisierung hat der Feminismus seine Klassenkampf-Thematik leider sehr stark eingebüßt und ist zu einer neoliberalen Wohlfühlkampagne verkommen. Trotz der weiterdenkenden Begriffe, wie zum Beispiel „Intersektionalität“, welche in den populären Debatten bedauerlicherweise nur selten vorkommt.
Mareike Fallwickl: Figuren mit sehr viel Tiefe und Klassenbewusstsein
Diese Tatsache ist deshalb erwähnenswert, weil Mareike Fallwickel mit ihrem neuen Buch Und alle so still einen feministischen Roman geschrieben hat, der sich jedoch nicht, wie so viele andere, nur an der zumeist weißen Weiblichkeit einer einzigen Hauptfigur ergötzt, sondern tief im Klassenkampf gründet und auch intersektionelle Themen aufgreift.
Ruth ist Pflegerin und geht am Pflegesystem zugrunde – wie auch ihre Kolleginnen. Nuri ist migrantischer Abstammung und leidet unter einer Armut, die nur selten so kompromisslos und eindringlich dargestellt wird, wie in diesem Buch. Elin ist erfolgreiche Influencerin und gleichzeitig auch Opfer einer oberflächlich-toxischen Social-Media-Kultur, die sich wüst an ihrem Körper auslässt, sie aber auch Opfer einer exzessiven und geradezu zwanghaft ausgelebten Sexualität werden lässt.
Und alle so still: Ein Bündel Hoffnungslosigkeit
Maßloser Sex als Befreiung? Von wegen! Elin ist zurückgeworfen auf ihren indoktrinierten Wunsch, den Männern zu gefallen. Und auch wenn sie nicht unter dem Orgasmus Gap zu leiden scheint, bekommt man durch sie eine Sexualität offenbart, die ein kaputtes Männerverhältnis offenbart. Aber auch den Männern ein bedenkliches Verständnis menschlicher Sexualität unterstellt. MeToo lässt grüßen!
Nuri wiederum entkräftet wohl jede Tellerwäsche-Millionär-Geschichte und wirft das menschliche Dasein auf klassenbedingte Tatsachen zurück. Mit seinen gefühlt 100 Jobs kommt er einfach nicht weiter und macht sich nur kaputt dabei – beim trostlosen Verharren im eigenen Habitat. Während seine privilegierten Freunde studieren gehen können, hat ihn seine ärmliche Herkunft fest im Griff.
Und Ruth? Sie ist die letzte Frau auf einem untergehenden Schiff: dem Altenpflegerinnentum. Personalnot, allgemeine Überforderung und unwürdige Bezahlung sind da nur einige Probleme, mit denen sie zu kämpfen hat. Ihr unerschöpfliches Pflichtgefühl wirkt dabei geradezu wie die Verhöhnung alles Menschlichen.
© Rowohlt Verlag
Literarische Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Problemzonen
Selten haben Figuren gesellschaftliche Probleme so überzeugend veranschaulicht, wie in Mareike Fallwickel neuen Buch Und alle so still. Doch Hoffnung keimt auf, denn an einem schicksalshaften Tag fangen Frauen plötzlich an zu rebellieren, indem sie einfach nichts mehr tun. Aufhören das zu tun, was sie immer schon getan haben: Sich zu kümmern, ohne entsprechend vergütet zu werden. Eine Revolte, die das patriarchale System auf den Kopf zu stellen droht. Aber mit Testosteron-geschwängerter Gewalt natürlich nur umso erbarmungsloser bekämpft wird.
Mareike Fallwickl Und alle so still
Fallwickel gelingt es, einen politisch und vor allem gesellschaftlich spannenden Gedanken, die ganz individuellen Geschichten dreier Figuren, nicht nur zu umspannen, sondern auch durchdringen zu lassen. Das Große gesellschaftliche Thema des Widerstands trifft in seiner Abstraktheit auf die Unmittelbarkeit gelebter Erfahrungen und verschmelzt zu einer extrem gelungenen und vor allem auch glaubwürdigen Geschichte.
Das Große (eines gesellschaftlichen Wandels) im Kleinen (Einzelschicksal) zu erzählen ist eine Kunst, an der schon viele Autor*innen gescheitert sind – Fallwickel aber nicht. Und zu lesen, wie sie Seite um Seite eben nicht scheitert, sondern uns literarisch wie politisch immer tiefer hineinholt in den Kaninchenbau unserer neoliberalen Ideologie, ist ein literarischer Genuss, der aber mit Sicherheit einen gesellschaftlich bitteren Nachgeschmack bereithält.
Titelbild © Lindsey LaMont via Unsplash (Zugriff 29.04.2024)