Ein zentrales, aber oft verdecktes Argument von rechts gegen Migration – insbesondere aus Ländern mit islamischer Prägung – basiert auf der Annahme einer sexuellen Rückständigkeit und Gefährlichkeit von Zuwanderern. Abseits der Modewörter wie „Wirtschaftsflüchtling“, die vorgeben, ökonomisch zu argumentieren, gibt es vor allem eine sexuell fokussierte Darstellung von Migration, die auf eine emotionalisierte „Politik der Angst“ zurückgreift, um einen sexistisch-rassistischen Diskurs zu fördern. Der „Ethnosexismus“ bringt sich dabei als neuer Begriff im Erkennen eines patriarchal dominierten Rechtspopulismus ins Spiel.
Ethnosexismus: beispielhafte FPÖ
Ein Promotion-Video der Jugendorganisation der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) nimmt die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Gabriele Dietze – die u.a. zu Rassismus, Sexismus, Migration und Rechtspopulismus forscht – zum Anlass, um in einen neuen Begriff einzuführen und auf den Begriff Ethnosexismus näher einzugehen.
In diesem Clip sehen wir ein (natürlich) weißes Mädchen im knappen Bikini-Oberteil halb aus einem leuchtend hellblauen Swimmingpool auftauchen. Der Off-Kommentar lautet: „Das Wasser steht uns bis zum Hals“.
Es wird eine Verbindung zwischen dem Bild des Mädchens und dem Problem der zunehmenden Einwanderung in Österreich hergestellt. Dabei werden reihenweise Bilder von Flüchtlingen eingeblendet.
Weitere Szenen zeigen eine scheinbar diverse Bevölkerung auf einem öffentlichen Platz, ein möglicherweise bedrohlich dargestellter junger Mann mit Kapuzenpulli, Männer beim Gebet in einer Moschee und Frauen mit Kopftüchern – ein brisantes Thema in Österreich. Die nahegelegte Botschaft des FPÖ-Clips ist, dass die traditionelle österreichische Identität bedroht ist.
Das Video propagiert die FPÖ als Lösung für diese vermeintlichen Probleme und ruft dazu auf, der Jugendorganisation beizutreten. Es nutzt emotionale Bilder und stereotype Darstellungen, um ein bestimmtes Einstellungsmuster zu verstärken und eine bestimmte politische Agenda zu fördern. Darüber hinaus bedient es sich eines, wie Gabriele Dietze in ihrem gleichnamigen Buch anmerkt, sexuellen Exzeptionalismus.
Sexueller Exeptionalismus
Neueste sozialwissenschaftliche Analysen zeigen, dass Rassismus und Kulturalismus eine grundlegende Rolle im Affekt-Setting des aufkommenden Rechtsrucks spielen. Oft wird dieser als eine verschobene Reaktion auf wirtschaftliche Unsicherheit, Abstiegsängste und wahrgenommene Ungerechtigkeiten betrachtet.
Der Soziologe Klaus Dörre fasst diese Entwicklung prägnant zusammen, indem er darauf hinweist, dass der neue Rechtspopulismus die soziale Frage uminterpretiert und sie zu einem Verteilungskampf zwischen verschiedenen Gruppen, zwischen „Innen“ und „Außen“, zwischen als zivilisiert und minderwertig angesehenen Kulturen, umdeutet.
Weniger beachtet wird oft, wie Gabriele Dietze erläutert, dass Sexismus bzw. die Verbindung von Rassismus und Sexismus, die von ihr als Ethnosexismus bezeichnet wird, einen weiteren wichtigen Aspekt des aufstrebenden rechten Spektrums darstellen.
Sexualität häufiger Thema als Rassismus
Studien zu den Inhalten rechter Programme zeigen nämlich, dass geschlechts- und sexualitätsbezogene Themen genauso präsent sind, wenn nicht sogar stärker, als rassistische Muster. Sexualität und Geschlecht werden somit zum bestimmenden Faktor einer rechten Ideologie. Wie sieht diese neue ethnosexuelle Ideologie genau aus?
Hierbei geht es um einen, auf einer Hierarchie der Geschlechter basierenden Sexismus, um eine sexualisierte Hierarchie von „Rassen“ oder „Kulturen“. Ethnosexismus vereint dabei den Rassismus mit dem Sexismus an zwei Schlüsselpunkten.
Bedrohung der weißen Frau und der dominanten „Rasse“
Der erste Punkt bezieht sich auf die Behauptung, dass „eigene“ Frauen durch „fremde“ Männer bedroht sind. Der zweite Punkt betrifft die Sorge, als dominante „Rasse“ und Geschlecht auszusterben.
Die Idee des „Großen Austauschs“ – eine rechte Verschwörungstheorie, bei der eine weiße Bevölkerung durch Flüchtlinge erstetzt werden soll – spiegelt die Angst wider, dass in den „eigenen“ Gesellschaften keine sichtbare weiße Dominanz mehr existiert.
Die Geschlechtsangst konzentriert sich dabei auf das Phänomen der „Krise der weißen Maskulinität“ oder umgangssprachlich das Problem der „alten weißen Männer“ oder „angry white men“.
Das Kratzen am weiß-kolonialen Selbstbild
Es geht dabei nicht mehr nur um die Fragen ökonomischer Gerechtigkeit und Verteilung. Sondern darum, seine eigene (weiße und männliche) Macht bedroht zu sehen. Die patriarchale Herrschaft von Männern über Frauen und die sich postkolonial fortsetzende Herrschaft weißer Eliten über Länder und Ökonomien des Globalen Südens.
Denn mittlerweile tauchen neue, nicht-weiße Player auf wie zum Beispiel chinesische Wirtschaftsmacht oder arabische Petro-Oligarchen, die am weiß-kolonialen Selbstbild kratzen.
Und klar, wenn man auf der einen Ebene seine Vormachtstellung verliert (z. B. Wirtschaft), kämpft man auf einer anderen (Rasse und Geschlecht), nur umso erbitterter darum, diese noch etwas länger behalten zu können. Die Sexualität der weißen Rechten gilt als bedroht, arabische, muslimische, schwarze Männer stehen daher unter Generalverdacht sexuelle Belästiger zu sein.
Ethnosexismus: von Schachfiguren und den Anderen
Frauen werden so zu Schachfiguren einer neurechten Politik, da die Themen Migration, weiße Frauen und Sexualität zu einer Konstellation verfugt werden, die Gabriele Dietze ethnosexistisch nennt. Sexismus trifft dabei nicht nur Frauen, sondern natürlich auch Männer.
Dieser Ethnosexismus beinhaltet die Kulturalisierung von Geschlecht, Sexualität und Religion. Menschen werden hier aufgrund ihrer angeblich besonders problematisch oder „rückständigen“ Sexualität oder Sexualordnung verdächtigt und diskriminiert – weil die Karte der „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht mehr zieht und die ökonomische Hoffnungslosigkeit ein Thema ist, dass alle Parteien bedienen.
Ethnosexistische Konstellationen schließen dabei „Andere“ aus und bilden exklusive Solidaritäten um über diesen Ausschluss Homogenität und ethnonationale Reinheit zu erzeugen. Sie werden dabei in der Regel von sexuell liberalen Fassaden-Rhetoriken überdeckt.
Rechts in neuem Antlitz
Die Rechte kommt so mit einem vermeintlich neuen Antlitz daher und gibt sich sexuell nicht mehr allzu konservativ. Ehemals unterdrückte und ausgeschlossene Menschen wie weiße Frauen und homosexuelle Menschen werden so von rechtspopulistischen Ideologien für ihre „Politik der Angst“ vereinnahmt und missbraucht.
Die rechte Ideologie wird plötzlich freundlich den weißen Frauen gegenüber (die ja eigentlich hinter den Herd sollen) und offen für homosexuelle Menschen. Natürlich nur mit dem Versuch, das Andere in Form des Rassismus auszuschließen. Das Andere wird so auf einer ethnosexuellen Ebene an den Rand gedrängt.
Vermutlich da der wirtschaftliche Rand immer breiter wird, aufgrund einer generellen Auflösung der Mittelschicht. Frauen und homosexuelle Männer werden hierbei als Opfer angesprochen – die es vor einer migrantischen Frauenfeindlichkeit und Homophobie zu Schützen gilt.
Der Weg aus dem Ethnosexismus
Einziger Weg daraus ist, wenn diese, von rechter Ideologie als Opfer dargestellten Personen nicht nur ihren Opferstatus abstreiten, sondern auch denjenigen, die sie als Opfer darstellen und so Widerstand leisten.
Die rechte Ideologie bedient sich eines neuen Mittels, um das „Andere“ erneut ausschließen zu können. Ehemals ausgeschlossene Gruppen der Gesellschaft (weiße Frauen und homosexuelle Menschen) werden dabei integriert.
So kommt es zu einer Umpositionierung, wobei sich die Rolle des „Anderen“ verschiebt und so Migranten ausgeschlossen werden. Diesmal nicht auf einer rein wirtschaftlichen Ebene, sondern mit einer auf Sexualität und Ethnizität fokussierten Rhetorik. Sprich: die bösen Anderen nehmen uns jetzt nicht mehr die Jobs, sondern unsere Frauen weg.
Gabriele Dietzes Begriffe wie „Ethnosexismus“ bzw. „sexueller Exzeptionalismus“ konzentrieren sich dabei auf das Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht für die zunehmende Verbreitung rechtspopulistischer Positionen.
Diese Begriffe ergänzen somit etablierte und rein sozioökonomische Erklärungsansätze und wenden sich an Rassismus und Sexismus als „zweiten Strom des neurechten Kraftfeldes“.
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