Nach Salonfähig (2021) hat der Wiener Kult-Autor Elias Hirschl mit Content einen weiteren Satire-Roman veröffentlicht. Was als gelungene literarische Bestandsaufnahme der Ängste und Sorgen der Generation Z genüsslich zu lesen ist, kann mit Slam-poetischem Flow und Kompromisslosigkeit überzeugen. Jedoch lässt das Buch aber auch einen gewissen Tiefgang vermissen. Doch Hirschl neuestes Werk ist, genauso wie der Vorgänger, sehr lesenswert.
Salonfähig oder Austrian Psycho
In seinem letzten Werk Salonfähig aus dem Jahre 2021 hat der Wiener Autor Elias Hirschl bewiesen, dass er – aber so was von! – mit Literaturkaliber wie zum Beispiel Michel Houellebecq und Bret Easton Ellis mithalten kann. Denn nichts anderes – und dabei dennoch so unendlich viel! – beweist Hirschls großartiges Satire-Feuerwerk Salonfähig.
Als eine Mischung des Kultromans American Psycho und der Genialität von Michel Houellebecq, gesellschaftliche Trends früh zu erkennen und als Erster eine literarisch brillante, aber auch gesellschaftskritisch ausgefeilte Reaktion zu liefern, ist es dem Roman Salonfähig gelungen, ein stimmiges Sittenbild der österreichischen Politik und Kultur zu zeichnen.
Geradezu meisterhaft verwebt Hirschl in seinem Ausnahmewerk Ereignisse der österreichischen Bundespolitik und baut seinen Roman um eine, sehr stark an Sebastian Kurz angelehnte Staatsfigur. Rhetorik und Innenleben der Figuren widerspiegeln gekonnt den Duktus der neoliberalen Mitte bzw. orientieren sich an politisch rechts gerichtete Phrasendrescherei. Ein satirischer Hochgenuss!
Elias Hirschls neuestes Werk: Content
Warum erwähnen wir das alles? Weil Hirschls neuestes Buch Content in sehr große Fußstapfen treten muss. Und trotz feiernder Rezensionen und teils gelungener Verwendung sogenannter postironischer Stilelemente, schafft es die Geschichte leider nicht, eine gewisse Oberflächlichkeit zu verlassen – was zugegeben höchstwahrscheinlich auch beabsichtigt ist. Dennoch ist ja genau das die Kunst, mit der Oberflächlichkeit zu spielen, doch dieser selbst nicht anheimzufallen.
Die Story in Content dreht sich um wahnhaft-positive Start-up-Gründer, geistig erschöpfte und seelisch entkräftete Social-Media-Redakteur*innen, fast unerreichbare Twitter-Berühmtheiten, Gag-Schreibende für Late-Night-Shows und unterbezahlte Fahrradlieferanten.
Eine Figuren-Kombination, die das Leben der Gen Z pointiert auf den Punkt bringt, denn Start-ups, Influencer und prekäre Niedriglohnjobs sind das traurige Triangel, das sich um diese Generation zu spannen scheint. Gespickt ist das ganze natürlich auch noch mit technophilen Spielereien, die eine mehr als trostlose Zukunft erahnen lassen.
Content: dystopische Online-Welt
Alle Figuren bewegen sich durch eine Welt, die rigide vorgezeichnet ist und in der es trotz unaufhörlicher Parolen der Freiheit, immer weniger davon zu geben scheint. Dystopisch dünkt die Online-Welt, die über den Alltag hereinbricht und der niemand sich entziehen kann.
Die Heldin schreibt sogenannte Listicles. Ein Listicle präsentiert Informationen in einer strukturierten und prägnanten Form. Wobei es sich dabei im Grunde um durchnummerierte Aufzählungslisten handelt (Nummer sieben wird sie zum Weinen bringen!). Ein gängiges Stilmittel der nach Klickzahlen schreienden Websites: Die 10 übergewichtigsten Stars des Jahres und so weiter und so ähnlich.
Der Content dieser Listen stößt uns moralisch zwar ab, zieht uns zugleich aber auch an. Wie Autounfälle sind die Posts und Listen, die online kursieren, ein Unfall, bei dem man nur selten wegsehen kann. Die Sinnlosigkeit der Inhalte brüllt uns auf jeder Seite entgegen und Hirschl weiß wie immer sehr gut zu unterhalten.
Elias Hirschl neues Werk Content
Wie funktioniert das Internet wirklich
Doch leider unterhält uns dieser Autor nur allzu gut, anstatt auch ein wenig aufzuklären – Wobei das ja auch nicht weiter schlimm ist und diese Tatsache vielleicht auch nur für überkritische Vertreter*innen der Frankfurter Schule als Haar in der Suppe der Hirschl-Geschichte erscheint.
Doch Tatsache ist, dass das Internet, als von Google dominiertes Schlachtfeld, auf dem sich Content Creator durchsetzen müssen und mittels Werbeschaltung bis zur Sinnlosigkeit SEO-optimierter Artikel, ums wirtschaftliche Überleben und um Suchplatz eins zu kämpfen, in Hirschls Content bedauerlicherweise unerwähnt bleibt.
Schon klar, die Content Creators hauen reihenweise ihre absurde Scheiße raus, sodass man sich bei jeder Zeile nach der Sinnhaftigkeit ihrer Existenzen fragt (und sie sich selbst natürlich auch!). Doch was der Roman enttäuschenderweise nicht erklärt, ist, dass in der Welt der Onlinesuche die Content Creation durchaus einen marktwirtschaftlich geradezu gravierenden Sinn erfüllt. Und das wissen diese Creators auch.
Klicks, DA und fehlende marktwirtschaftliche Faktoren
Denn es geht schlussendlich immer um Klicks oder andere marktwirtschaftlich verwertbare Faktoren. Es geht darum, auf Google als Erster gefunden, geklickt und gebucht zu werden. Und dann geht es auch noch um eine gute (DA) Domain Authority, die man, zusammen mit den Zugriffszahlen, an Werbekunden verkaufen kann.
Das Internet ist keinesfalls so sinnbefreit, wie der Roman Content es uns nahelegt. Marktwirtschaftliche Faktoren haben sich dort hineinverlagert und sich online in einem absurden Ausmaß potenziert. Zugegeben, die oftmals als sinnlos erscheinende Content Creation veranschaulicht Hirschl geradezu vorbildlich. Doch geht er an keiner Stelle auf die marktwirtschaftlichen Hintergründe der Content Creation ein.
Das ist natürlich schade, da in Content nur ein kleiner Teil der absurden Online-Welt beleuchtet wird. Bei Hirschl bleibt der Content ganzheitlich, sinnlos und absurd – was natürlich auch seine Berechtigung hat. Doch die Auslotung wirtschaftlicher und politischer Hintergründe und ein etwas differenzierterer Blick hätten dem Buch sicherlich den ein oder anderen Nutzen erwiesen und die Story um einiges engagierter gemacht.
Elias Hirschls Content: ein Fazit
Das Buch Content ist eine extrem gelungene Satire, welche die Verzweiflung der Gen Z hervorragend vermittelt. Aber auch sehr viele Elemente einer gekonnten Vorahnung gesellschaftlicher Entwicklungen durchfließen den Text (der Irrsinn der Fahrradkuriere und deren Ablösung durch Drohnen z. B.).
Doch die Komplexität der virtuellen Welt und vor allem der Content Creation, lässt Hirschl außen vor. Auch wenn wir diesen Punkt in unserer Kritik schon sehr breitgetreten haben (#Frankfurter Schule-Fetischismus), müssen wir dennoch zugeben, dass Elias Hirschl mit Content eine sehr gelungene Satire umgesetzt hat, die mit dem Vorgänger Salonfähig durchaus mithalten kann und unbedingt gelesen werden sollte.
Titelbild © Marvin Meyer via Unspalsh