So entkommst du deinem eigenen Perfektionismus

Auf dem Foto sieht man im Comicstil einen Mann und eine Frau vor einem Tisch sitzend. Die Frau, die vom Betrachter aus links sitzt, hat ihr Gesicht in den Händen begraben und trägt ein blaues Kleid. Der Mann sitzt rechts von ihr in einem weißen Hemd und einer Krawatte. Er hatte die Hände ineinander gefaltet und blickt verzweifelt drein. Sie beide versuchen ihrem Perfektionismus zu entkommen. Links hinter ihnen sieht man ein Fenster und auf der rechten Seite steht ein kleines Regal mit Büchern darauf.

Du kennst das bestimmt auch. Du kommst nach Hause, musst noch tausend Dinge erledigen und möchtest alles unter einen Hut bekommen. Und obwohl du selbst ganz genau weißt, dass sich nicht alles ausgehen wird, treibt dich deine innere Stimme permanent an und kritisiert dich. Dahinter steckt oftmals Perfektionismus. Laut Studienergebnissen ist dieser unter jungen Menschen in den vergangenen Jahren massiv angestiegen und nimmt immer heftigere Ausmaße an. Doch keine Sorge, Experten helfen, denn es gibt einige effektive Tricks, um die innere Nörgelei in den Griff zu bekommen.

Beim Perfektionismus, so wie wir ihn heute erleben, geht es nicht darum, bei allem, was man tut, der oder die Beste zu sein. Nein, es handelt sich mittlerweile vielmehr um ein:

„Gefühl, nie anzukommen und sich niemals als ausreichend zu fühlen.“

So definiert es die Psychologin Yuxin Sun gegenüber der New York Times. Das Gefährliche an diesen Tendenzen ist die permanente Herabsetzung durch unsere innere Stimme, die auf Dauer negative Auswirkungen für unsere Psyche hat.

Perfektionismus und Leistungswahn

In einer Welt, die von Standards und Erwartungen durchdrungen ist, erheben sich der Perfektionismus und die unkontrollierte Selbstkritik mittlerweile wie ein ungezügelter Sturm. Gerade bei jungen Bevölkerungsgruppen stellt die Forschung einen starken Anstieg des Perfektionismus fest. Als Maßeinheit wird dafür die sogenannte multidimensional perfectionism scale angewendet.

Doch die jüngsten Studienergebnisse lassen die Alarmglocken läuten. Denn Perfektionismus, was einst ein vermeintlich individuelles Streben nach Perfektion war, hat sich zu einem epidemischen Phänomen entwickelt. Gerade in den Jahren zwischen 2006 und 2022 schoss der Perfektionismus in die Höhe. Unter der Leitung von Thomas Curran, einem Professor für Psychologie an der London School of Economics and Political Science, haben Forscher:innen dabei ebenfalls die unterschiedlichen Strömungen des Perfektionismus in der Gesellschaft untersucht.

Sie gelangten zur bedenklichen Erkenntnis, dass das vor allem den steilen Anstieg des „sozial vorgeschriebenen Perfektionismus“ betrifft. Bei dieser Art des Perfektionismus geht es darum, den Erwartungen und Standards anderer zu genügen. Der Leistungswahn der Gesellschaft um uns herum spielt dabei eine bedeutende Rolle. Denn er setzt sich immer mehr in unseren innersten Gedanken fest und definiert dabei maßgeblich unsere eigene Zielsetzung, damit wir uns glücklich fühlen.

Ein Leben für die anderen

In einer Ära, in der Instagram- und TikTok-Feeds als vermeintliches Zerrbild der Gesellschaft mit makellosen Selfies und „erfolgreichen“ Lebensstilen durchtränkt sind, fühlen sich junge Menschen einem beispiellosen Druck ausgesetzt, den Erwartungen ihrer Umgebung zu entsprechen. Elterliche Forderungen, der Schuldruck, Werbung und die omnipräsente Flut an Leistung, die erbracht werden muss, speisen dabei stetig den mächtigen Fluss des Perfektionismus.

Und was macht dieser ständige Druck mit den Menschen? Für viele wird das Leben immer mehr zu einem unerbittlichen Laufrad und einem endlosen Streben nach einem Ziel, das nie erreicht werden kann. Und selbst die erfolgreich mitspielen, denen droht ein Burn-out aufgrund der gesetzten Erwartungshaltung. Dr. Curran beschreibt es treffend als einen Ort, an dem „keine Freude an Erfolg und viel Selbstkritik“ herrscht. Ein düsterer Spiegel, der ständig unsere vermeintlichen Unzulänglichkeiten reflektiert und uns dabei permanent auffrisst.

Experten raten daher dazu, die innere kritische Stimme zu bändigen und die kleinen Siege zu feiern. Ein wichtiger Punkt dabei ist, sich selbst mit Mitgefühl zu behandeln. Denn letztendlich liegt die wahre Perfektion nicht in der makellosen Fassade, sondern in der Fähigkeit, unsere menschliche Unvollkommenheit anzuerkennen und trotzdem zu strahlen.

Die Sprache der eigenen Gedanken beeinflussen, um aus dem Perfektionismus auszubrechen

Eine Möglichkeit, die Ethan Kross, ein Professor für Psychologie an der University of Michigan und Autor des Buches „Chatter: The Voice in Our Head, Why it Matters and How to Harness It“, mit Forschungsergebnissen untermauern konnte, ist die der „Distanzierung“.

Dabei gibt es zwei einfache Tricks, um den negativen Gedanken zu entkommen. Der Erste besteht darin, auf die negativen Gedanken einzugehen und sich deren Auswirkungen für die Zukunft realistisch vorzustellen. Wird der Fehler, den ich gemacht habe, für mich selbst noch in einer Woche eine Rolle spielen? Und wie sieht es in drei Monaten aus?

Bei zweitem Zugang geht es darum, die Sprache der eigenen Gedanken zu beeinflussen. Anstatt zu sagen: „Ich kann nicht glauben, dass ich diesen Fehler gemacht habe, das war so dumm von mir.“ Kann man sagen: „Du (oder man verwendet seinen eigenen Namen) hast einen Fehler gemacht. Du fühlst dich gerade schlecht. Aber du wirst das nicht ewig so fühlen. Und Fehler passieren ebenfalls vielen anderen Menschen.“ Forschungsergebnisse bestätigen, dass bereits diese leichten Änderungen in den gedanklichen Selbstgesprächen viel Einfluss haben können.

Gut genug für sich selbst

Ein weiterer Ansatz besteht darin, die eigenen Entscheidungen zu würdigen und die Suche nach Akzeptanz von außen zu reduzieren. Der Kern dieser Annahme fußt darauf, sich nicht ständig verbessern zu wollen, um anderen zu genügen? Will ich wirklich noch mehr Stunden arbeiten? Sich selbst zu genügen, kann als sehr befreiend empfunden werden. Man sollte sich dabei vor allem auf Dinge konzentrieren, die einem Freude und Bedeutung bringen.

Diese Philosophie wird auch von Dr. Gabor Maté unterstützt, einem kanadischen Arzt und Trauma-Experten, der betont, dass das Gefühl, legitim oder würdig zu sein, nicht von externen Quellen kommen sollte. Menschen sollten nicht „ihre Verspieltheit, ihre Freude“ für externe Bestätigung opfern.

Perfektionismus ist eine Überlebensstrategie, die wie eine Art Rüstung funktioniert, um sich nicht verletzlich zu fühlen. Also sollte man sich für seine perfektionistischen Tendenzen nicht zusätzlich selbst bestrafen. Aber falls du deinen eigenen Perfektionismus schon seit Längerem als belastend empfindest, ist es an der Zeit, die Rüstung Schritt für Schritt abzunehmen und für sich selbst Verständnis zu zeigen.  Falls aber der innere Druck sich nicht reduzieren lässt und schon über einen längeren Zeitraum anhält, sollte man unbedingt professionelle psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, um an der Wurzel des Problems zu arbeiten.


Titelbild KI generiert – Leonardo.ai